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Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen

Lehrstuhl

Grundlagen der Architektur

Der Titel von Heinrich Tessenows Schrift "Hausbau und dergleichen" aus dem Jahr 1916 ist unserer Lehre im 1. Semester als programmatischer Titel überschrieben. Er steht für eine Haltung in der Architektur und beschreibt sehr gut wie wir unseren Lehrstuhl "Grundlagen der Architektur" verstanden wissen wollen. Hausbau - das Bauen von Häusern - wie könnten wir die Beschäftigung mit Architektur besser und einfacher beschreiben als Tessenow es mit dem lapidaren Begriff Hausbau getan hat? Und doch sind wir heute und vielleicht auch schon im Jahr 1916 weit davon entfernt, uns auf diese Begrifflichkeiten und das damit einhergehende Verständnis von Architektur zu einigen. Spätestens mit Le Corbusier wurde das Wohnhaus zur "Wohnmaschine" und somit als Apparat und nicht mehr als Gegenstand (J. Posener) verstanden. Diese einseitige funktionale Sichtweise prägt die Architektur bis heute und bestimmt die Art und Weise wie gebaut wird. Wir bauen abstrakte Kisten statt Häuser, aber Kisten kennen den Eingang nicht. Kisten lassen sich beliebig stapeln, Kisten sind nicht geerdet. Kisten haben weder Fundament noch Dach, sind mobil und kurzlebig. Alle sinnstiftenden architektonischen Eigenschaften, die wir Häusern zuschreiben, sind nicht länger erwünscht oder dem Kistendasein abträglich. Dabei reden wir noch nicht einmal über die Aufgabe der Architektur, den Häusern Ausdruck zu verleihen. Wohnlichkeit, Geborgenheit, Anmut, Erhabenheit - typische Eigenschaften, die wir Häusern zuschreiben, sind in der Kistenwelt nicht mehr vorhanden. Man könnte argumentieren, dass dies dem Zeitgeist entspricht und dass doch Ersatz geboten wird, aber wir reden bei Kisten lediglich über ästhetische Effekte. Von solchen "Gebäuden" sagt man "interessant" oder "originell" - das sind ebenfalls Werte, aber sie entziehen sich den wesentlichen Aufgaben der Architektur.

Kommen wir zurück zum Hausbau. Die zweite Silbe des Wortes betont das Bauen. Beim Bauen geht es nicht um abstrakte Bilder, sondern um konkrete Architektur. Dach, Wand, Mauer, Sockel, Fenster, Eingang sind architektonische Begriffe, die in der abstrakten Welt der Kiste keinen Platz haben, aber dem Bauen Sinn verleihen. Die Architektur kann nicht auf das Gegenständliche verzichten. Erst die Auseinandersetzung mit dem Bauen macht das Erdachte, das Entworfene zur Architektur.

Prof. Wouter Suselbeek